Mit fast 40 Jahren Erfahrung im Tunnelbau ist Sergio Massignani der Herr über die Tunnelbohrmaschine in Airolo. Der gelernte Tiefbauzeichner aus Liestal BL hat bereits zahlreiche grosse Tunnelbauprojekte geleitet und verbringt selbst viel Zeit «unter Tage». Kaum jemand ist besser qualifiziert, um einen Einblick in den Berufsalltag der Mineure und Mineurinnen zu vermitteln.
Herr Massignani, Sie sind ein erfahrener Tunnelbauer – was reizt Sie an Ihrem Beruf?
Beim Tunnelbau betritt man immer wieder Neuland – ähnlich wie beim Alpinismus. Dadurch bleibt die Begeisterung auf Dauer erhalten. Zudem sind Tunnel komplexe Bauwerke, die ein ständiges Zusammenspiel vieler Fachpersonen erfordern und für einen abwechslungsreichen Alltag sorgen.
Der Tunnelbau hat viele Traditionen. Können Sie uns einen Einblick geben?
Eine Tradition ist beispielsweise der Ausdruck «Glück auf!». Er findet seinen Ursprung im Bergbau und kam unter anderem beim Fund einer Erzader zum Zug, was als Erfolg galt – sozusagen das Auffinden des Glücks. Heute könnten wir den Ausruf mit «Hals- und Beinbruch» vergleichen, wenn man sich ein unfallfreies Arbeiten wünscht. Ein weiterer Brauch ist das Aufstellen einer kleinen Statue der heiligen Barbara vor jedem Tunneleingang. Sie ist die Schutzpatronin der Mineure und Mineurinnen vor den zahlreichen Gefahren im Berg. Einmal im Jahr, an ihrem Namenstag am 4. Dezember, wird ihr mit einer Messfeier im Tunnel gedacht und gedankt.
Wie steht die Berufsgruppe heute da? Wie wird man Tunnelbauerin oder Tunnelbauer?
Unsere Berufsgruppe steht – wie andere Berufsgruppen auch – vor grossen Herausforderungen und Veränderungen. Die zunehmende Mechanisierung und Automatisierung krempeln den Beruf um. Eine Berufslehre und/oder ein Studium im Bauwesen bieten nach wie vor eine gute Grundlage. Tunnelbauerin oder Tunnelbauer wird man jedoch nur «on the job».
Die Tunnelbohrmaschine (TBM) bringt sicher auch viele Vorteile gegenüber dem «konventionellen» Vortrieb, nicht?
Die TBM ist vollständig mechanisiert und sehr effizient. Sie ist geschützt durch einen schweren Stahlschild und kann den Tunnel beim Ausbruch gleich mit vorgefertigten Betonelementen sichern. Die Mineurinnen und Mineure sind nicht mehr direkt dem gefährlichen Bergschlag ausgesetzt. Dadurch sind wir bedeutend sicherer und schneller im Vortrieb.
Welche Herausforderungen haben Sie beim Ausbruch mit der Tunnelbohrmaschine zu meistern?
Die Geologie des Gotthardmassivs ist sehr heterogen: Die Tunnel- strecke ist mit vielen Falten, Kluften und Bergwasser, weichem und hartem Fels durchzogen. Der Vortrieb gleicht daher einem Hürdenlauf, bei dem die TBM ständig und rechtzeitig auf die veränderten Verhältnisse angepasst werden muss. Es gibt beim Gotthardtunnel zwei sogenannte Störzonen, in denen wir den Vortrieb nicht mit der Maschine vollziehen können. Diese werden vorgängig konventionell ausgebrochen und gesprengt.