Valentina Kumpusch hat momentan alle Hände voll zu tun. Sie ist Gesamtprojektleiterin für den Bau der zweiten Gotthardröhre und blickt gespannt auf den Start der ersten Tunnelbauarbeiten. Wir haben ihr einige Fragen zu ihrer Rolle und Aufgabe sowie zum Projekt Zweite Röhre gestellt.
Frau Kumpusch, was bedeutet die zweite Gotthardröhre für die Schweiz und für die beiden Kantone Uri und Tessin?
Nun, dieses Projekt ist von grosser Bedeutung, und zwar nicht nur für unser Land sondern für ganz Europa. Die Nord-Süd-Achse ist eine der wichtigsten Verbindungen für den Personen- und Warenverkehr. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, eine sichere und reibungslose Durchfahrt zu gewährleisten. Erinnern wir uns: Seit mehr als 40 Jahren rollt der Verkehr am Gotthard durch einen zweispurigen Strassentunnel. Dieser Tunnel bedarf einer grundhaften Sanierung. Die zweite Röhre erfüllt die zukünftigen Anforderungen, sowohl in Bezug auf den Güterverkehr als auch auf den privaten Personenverkehr. Nach dem Bau der zweiten Röhre und der Sanierung der ersten werden wir allen Verkehrsteilnehmenden eine sichere und zeitgemässe Alpenüberquerung bieten können.
Was waren die grössten Herausforderungen?
Die Herausforderungen waren vielfältig. An erster Stelle steht der Wunsch der Schweizer Bevölkerung, den Strassenverkehr auf der Nord-Süd-Achse nicht durch eine zweite Röhre zu erhöhen. Diesbezüglich kann ich alle beruhigen. Das Verkehrsaufkommen bleibt unverändert, und die beiden Röhren sind auf einen zweispurigen Betrieb in jeweils eine Richtung ausgelegt: eine in Richtung Süden, die andere in Richtung Norden. Jede Röhre besitzt nur einen Fahrstreifen und eine Standspur. Hinzu kamen die Herausforderungen im Zusammenhang mit den natürlichen Gegebenheiten, wie beispielsweise der Fels und klimatische Bedingungen. Alle Herausforderungen wurden dank der unglaublichen Einsatzbereitschaft aller an diesem grossartigen Projekt Beteiligten gemeistert. Jetzt müssen wir nur noch durchstarten und mit der eigentlichen Arbeit beginnen. Natürlich werden sich weitere Herausforderungen ergeben. Aber ich bin sicher, dass wir auch diese mit Mut, Engagement und Professionalität bewältigen werden.
Was bedeutet es, für ein solches Projekt verantwortlich zu sein?
Es ist sehr spannend und es besteht keine Gefahr, sich zu langweilen. Selbst wenn man meint, alles organisiert zu haben, treten unerwartete Ereignisse ein, die ad hoc bewältigt werden müssen. Die grösste Herausforderung besteht darin, ein sehr grosses Team von verschiedenen Spezialistinnen und Spezialisten aus unterschiedlichen Branchen zu koordinieren und ihnen zu helfen, sich gegenseitig zu verstehen, um insgesamt – und nicht nur für einzelne Gewerke – die optimale Lösung zu finden.
Sie sind eine der wenigen Frauen, die ein solches Projekt leiten. Was können Sie uns von Ihren Erfahrungen berichten?
Sehr positiv! Ich glaube nicht, dass es einen Unterschied macht, eine Frau zu sein. Es geht eher um die Erfahrung im Management solcher Projekte, das Interesse am Projekt selbst und somit die Motivation, es von A bis Z durchzuziehen.
Sie haben bereits beim Bau des Lötschberg-Basistunnels mitgewirkt. Was sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Projekten?
Zunächst einmal war der Lötschberg ein Eisenbahntunnel, während dieser hier ein Autobahntunnel ist. Es gibt also strukturelle und bauliche Unterschiede zwischen den beiden Projekten. Beim Lötschberg war mein Arbeitgeber ein privates Unternehmen, jetzt ist es das Bundesamt für Strassen und damit hat sich auch das ganze Umfeld geändert, andere Personen, andere Befindlichkeiten. Letztlich gibt es aber auch viele Gemeinsamkeiten, denn es geht immer um den Bau von Tunneln, ob für Züge oder für den Strassenverkehr.
Sie sind aus dem Tessin und leben im Tessin. Sie haben aber auch viele Jahre in der deutschsprachigen Schweiz gelebt und gearbeitet. Was bedeutet der Gotthardtunnel für Sie?
Der Gotthardtunnel ist ein Wahrzeichen, eine hochkarätige Ingenieurleistung, die weltweit Tunnelbaugeschichte geschrieben hat. Nach dem Bau der zweiten Röhre wird der Gotthard eines der wenigen Bergmassive der Welt sein, das von nicht weniger als sechs Tunneln durchquert wird. Ausserdem, und das ist ein nicht zu unterschätzender Punkt, ist es die Verbindung zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Lebensarten, zwischen Nord und Süd. Gleichzeitig ist sie auch ein Bindeglied für den nationalen Zusammenhalt der Schweiz. Und schliesslich ist sie aus praktischer Sicht eine wichtige Strassenverbindung.
Der Gotthard-Eisenbahn-Basistunnel wurde sogar früher als geplant eröffnet, obwohl bei Projekten dieser Grössenordnung Verzögerungen häufig vorkommen. Wann soll die zweite Gotthardröhre eröffnet werden?
Die Eröffnung der zweiten Gotthardröhre planen wir für 2029. Ich bin sicher, dass wir dieses Ziel erreichen werden; daran habe ich keinen Zweifel. Mein Team und ich arbeiten jeden Tag hart und leidenschaftlich daran, dieses Ziel zu verwirklichen.